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Ein Buch über Berlin oder geschichtlich interessierte.
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Fliegeralarm, Politbüro und ALDI
Friedrich Milbradt
ISBN 978-3-7407-6815-7
Verlag TWENTYSIXHier beschreibt ein Zeitzeuge aus dem Ostteil von Berlin seine Wahrnehmungen, gegliedert nach dem vielleicht etwas reißerischen Buchtitel.
Diese Dreiteilung hat aber wohl ihren Sinn, denn der Autor beschreibt die Erlebnisse des Protagonisten Bodo in drei Zeitabschnitten, den ersten bis zum Kriegsende, den zweiten bis zum Mauerbau und deren Fall, sowie als dritten den komplizierten Integrationsprozess in eine freiheitlich demokratische Rechtsordnung.
Berlin, das bis dahin immer Hauptstadt Deutschlands gewesen war, wurde zu einem politischen Monstrum; die drei Sektoren der Westmächte wurden formal zu einem Bundesland der BRD, während der Ostsektor de facto in Hauptstadt der DDR umgewandelt wurde.
Es gab damals zwei Verwaltungen in Berlin, den Senat und den Magistrat, sowie zwei Währungen nämlich DM und Mark. Das gab es nirgendwo anders auf der Welt und es stellte darum auch besondere Anforderungen an seine Bewohner.
Westberlin wurde zum “Pfahl im Fleische der DDR“, wie es so schön formuliert wurde. Über die offenen Sektorengrenzen verließen die Menschen massenhaft den Machtbereich des “Arbeiter- und Bauern-Staates“, um der staatlichen Gängelei zu entgehen und ein Leben mit demokratischen Freiheiten zu führen.
So oder so ähnlich kennen es die meisten Nichtberliner wohl aus den öffentlichen Medien und durch andere Dokumentationen. Wie viele aber wissen etwas darüber, wie diese großen politischen Ereignisse die Lebensverhältnisse in der Stadt veränderten und die familiären und sonstigen Beziehungen seiner Bewohner beeinflussten?
Da gab es die Wechselstube am Gesundbrunnen, wo man je nach Wechselkurs für DM viel Mark bekam oder umgekehrt viel Mark einzahlen musste und von den Telefonzellen gegenüber, da konnte man sich für Ostgeld in das Westberliner Telefonnetz einwählen.
Die Westberliner nutzten den günstigen Wechselkurs für preiswerte Friseurbesuche, nahmen andere Dienstleistungen in Anspruch, erwarben Konsumgüter oder besuchten kulturelle Einrichtungen in Ostberlin.
Den Ostberlinern wurden für kulturelle Einrichtungen in Westberlin Preisnachlässe gewährt, aber für die begehrten, modischen Konsumartikel, mussten sie tief in die Tasche greifen.
Dann kam der 13. August 1961 und aus einer Stadt mit ihren engen familiären und sonstigen Bindungen und Beziehungen, wurden über Nacht zwei Städte, die nur durch eine Mauer getrennt, für ihre Bewohner aber Lichtjahre entfernt waren.
Von da ab wurde viel über die Sonderrolle der Westberliner berichtet, die nun in einer Enklave lebten und den Schikanen an den Grenzübergängen ausgesetzt waren.
Wie sich die Ostberliner an diese neue, einschränkende Situation anpassen mussten, darüber ist wenig bekannt geworden.
Da ich wahrscheinlich der Generation des Autors angehöre und auch gebürtiger Ostberliner bin, bin ich wieder an vieles erinnert worden.
Von Vorteil ist, dass der Autor nicht Geschehnisse beschreibt, sondern durch Dialoge und Handlungen fiktiver oder realer Personen die relevanten Alltagsabläufe darstellt; beim Lesen sollte man sich also nicht auf jeden Namen konzentrieren, sondern auf das, was durch die Personen ausgesagt werden soll im beruflichen oder persönlichen Umfeld des Protagonisten Bodo.
Das gab es nur in Berlin. -
Bei Google Books gibt es eine Leseprobe zu diesem Buch, den Anfang der Geschichte. Leider geht diese Probe nur bis kurz nach dem Krieg, mich hätte die Beschreibung der DDR Zeit interessiert. Vermutlich ist es wie so oft, diese Zeit hat jeder anders wahrgenommen und so fallen die Geschichten ganz unterschiedlich aus.
Ich bin Mitte der 60er Jahre in Brandenburg geboren und kam mit vier Jahren zusammen mit Eltern und Geschwistern nach Berlin Friedrichshain. Dort wuchs ich auf, bis ich Anfang der 90er Jahre Berlin nach Bayern verließ.
Auch ich könnte über diese Zeit ein Buch schreiben, es ist inzwischen Geschichte, denn wie gesagt, jeder hat eine andere Wahrnehmung der Ereignisse und somit eine andere Erzählweise. Ich würde das Aufwachsen in der DDR als meinen Ursprung bezeichnen und somit nicht beflecken wollen. Die Kindheit war für mich ein wunderbares Abenteuer mit vielen Möglichkeiten und Ereignissen.
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Ach das ist Schade, aber vielleicht weckt es dein Interesse, wenn ich darauf verweise, dass der DDR-Teil, nach dem Mauerbau, überwiegend im Zusammenhang mit der Karriere im Kombinat NARVA handelt.
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Nein, das Buch kaufen werde ich nicht, denn dann ärgere ich mich wieder, dass Berlin anders dargestellt wird, als ich es erlebt habe. NARVA ist mir natürlich vertraut, ein Betriebsteil war direkt bei der Warschauer Brücke an der Grenze zu Kreuzberg. Ich selber arbeitete damals im Möbelkombinat, ein ähnlicher Großbetrieb wie NARVA zur Herstellung von Leuchtmitteln. Nur aus heutiger Sicht war alles marode und bankrott, was will man machen?
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das ist natürlich deine Entscheidung, aber dann erfährst du auch nicht wie die Stasi mit dem Protagonisten umgegangen ist und wie durch das Wirken der Treuhand letztlich Lebens- und Arbeitsbiografien zerstört wurden.
Damit hier nicht der Eindruck entsteht aufdringlich zu erscheinen, beende ich den Dialog und wünsche noch eine gute Zeit.
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