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Nachlese
Nun habe ich die beiden Bände „Leben sammeln, nicht fragen wozu und warum“ geschafft. Ein bisschen haben die Jahre 1918 – 1932 im Leben der Klemperers auch mich geschafft.
Das hat zum Einen damit zu tun, dass es die Dresdner Jahre vor dem Faschismus in diesen Bänden waren, dass ich viele Namen, Anschriften, Bauwerke und Veranstaltungen zuordnen kann. Zum anderen ist dieser Teil ein Spiegelbild – ja wovon eigentlich? „Szenen einer Ehe“? Um mir diesen Ausdruck mal von dem gleichnamigen Film zu leihen. Oder Alltag in Depressionen? Was hält Liebe aus, wenn man quasi co-depressiv wird? Das Vorlesen wird immer mehr zur Gemeinsamkeit, wenn Evas Depressionen überhand nehmen.
Dazu kommt der Blick hinter die Kulissen des Hochschulwesens. Konkurrenzkampf um Posititonen, wichtig wenn man eigentlich nicht in Dresden sesshaft werden will. Da taucht immer wieder die Frage auf, welche Rolle bei dem Auswahlverfahren das Jüdischsein spielt.
Seine ehrlichen kritischen, aber subjektiven Betrachtungen der Mitmenschen schmerzt mitunter beim Lesen.
Am Ende der fast 2000 Seiten gab es dann noch eine Information über einen Besuch bei Auguste Wieghardt-Lazar.
Früher war sie „Witwe mit Umbausopha“, jetzt ist da so etwas wie moder-sozialistisch-sowjetisch-expressionistische Bohème. Ganz kleine Parterrewohnung mit vielen Glastüren, Glasscheiben, etc. elegante Puppenparzelle eines riesiegen Blocks mit vielen Horizontalen, wenig Schuck, großer Glätte. Ein Eßtisch hat nicht Platz.
So steht es unter dem 15. August 1931 im Tagebuch. Er konnte schon schonungslos sein.
Eigentlich hieß sie Augusta Wieghardt-Lazar, Kinderbuchautorin „Sally Bleistift in Amerika“ lebte nur kurz an dieser Adresse. Im Jahr darauf ist sie im gleichen Stadtteil an anderer Stelle zu finden. Dann habe ich sie nicht mehr gefunden. Sie arbeitete ab 1993 illegal im Widerstand und 1939 emigrierte sie nach England. In der DDR arbeitete sie dann eng mit Alex Wedding zusammen. Von Letzterer stammt das Buch „Ede und Unku“.
Auf der Suche nach dem Haus, die Wohnung, die Victor Klemperer beschreibt, laufe ich ins Leere. Eine städtebauliche Falle – die Straße endet plötzlich mit niedriger Hausnummer. Es sollte mal eine lange Straße bis zur Bahnlinie werden. Man hat einfach von der einen und der anderen Seite angefangen zu bauen. So hat das Haus heute wahrscheinlich einen anderen Straßennamen, eine andere Hausnummer oder ist in all den Veränderungen der Jahrzehnte verloren gegangen.
Ich muss mich nun mal mit etwas anderem beschäftigen. Eine depressive Ehe, Corona und eine Sonne hinter den Wolken – keine gute Voraussetzung für den November.
Constantia
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