Der blaue Brief

Der blaue Brief (RockyP)

Heut zutage ist es relativ leicht, so richtig Dampf abzulassen. Denn wenn man sich über eine Firma so richtig maßlos geärgert hat, schickt man ihnen eine gepfefferte E-Mail und wartet den Erfolg ab. Beim Adel herrschte früher die Sitte, den Fehdehandschuh vor dem Kontrahenten auf den Boden zu werfen. Was dann meistens im Morgengrauen mit einem Duell geahndet wurde. Noch heute gibt es den sogenannten blauen Brief, dabei muss er nicht mal blau sein, es kommt auf den brisanten Inhalt an. Zu meiner Schulzeit reichte schon ein morgendliches Zuspätkommen für einen Eintrag ins Klassenbuch. Bei zwei Einträgen war dann ein blauer Brief an die Eltern fällig.

Vor einigen Wochen habe ich einen blauen Brief, in Form einer E-Mail, an den Hersteller meiner Pralinen geschickt, weil ich im wahrsten Sinne mit der haarsträubenden Beilage der Pralinenschachtel nicht zufrieden war. Und dazu ausgerechnet meine Lieblingspralinen. Ein Packzettel besagte: "Sollten sie Beanstandung zum Inhalt dieser Verpackung haben, so melden sie sich unter Angabe der Details und Verkaufsdatum direkt an uns." Nun bin ich ja an sich nicht so besonders pingelig, aber wenn sich direkt unter der aufwendigen Abdeckung riesig, lange, blonde Haare schlängeln, hält sich auch mein kulinarischer Gaumenschmaus in Grenzen.

Was erwartete ich? Eigentlich nicht viel, alles würde wohl im Sande verlaufen. Meine Wut und Enttäuschung war eh verrauscht. Denn das eigentliche Corpus Delicti, die 10 Zentimeter langen blonden Haare, konnte ich ja virtuell nicht verschicken, sie waren schon längst beim Restmüll gelandet. Doch kurze Zeit später kam eine Mail des besagten Herstellers mit einer Entschuldigung: "Trotz sorgfältiger Qualitätskontrolle könne es immer mal zur Panne kommen. Bitte vernichten sie den Verpackungsinhalt. Ein Entschädigungspaket mit schokoladigem Inhalt sei bereits auf dem Weg zu mir." So lautete die vielversprechende Mail an mich.

Ehrlich, damit hatte ich nicht gerechnet. Und so wartete ich voller Ungeduld auf das angekündigte Paket. Schon bei dem Gedanken an die versprochene Köstlichkeit lief mir das Wasser im Mund zusammen. Doch der Postwagen brachte in den folgenden Tagen nur überflüssige Reklame für die Papiertonne. Da hatte ich gelesen: Es verschwinden täglich bei der DHL diverse Pakete. Sollte meine versprochene Köstlichkeit auch ein weiterer Minuspunkt für die Statistik der Post sein und wie oft hatte ich mich früher schon über diesen Paketdienst geärgert? Trotz Anwesenheit lag ein Zettel im Briefkasten. "Wir konnten sie nicht erreichen. Paketabholung am Postamt, aber nicht vor ."Blöder Zusteller!

Irgendwann hatte ich die Faxen dicke. Doch bevor ich eine weitere Wutmail zum Hersteller schicke, habe ich unseren Postmann direkt angesprochen, um den Verbleib des Paketes zu ergründen. Wie sich doch die Dinge im Leben fast wiederholen. »Ich habe Ihnen einen Zettel in den Briefkasten, gelegt. Mit dem Vermerk: Ihr Paket liegt im Papiercontainer!« Oh wie geil ist das denn? Schnellen Fußes zum blauen Container, welcher gegen Mittag geleert wurde. Da lag es friedlich schlummernd und lachte mich an. Glück gehabt. Ich war wieder mit der Welt versöhnt. In meiner ersten Entrüstung habe ich mich zwar bei dem Hersteller über die haarige Beilage beschwert, gegessen habe ich die Pralinen aber trotzdem mit vollem Genuss.

Ein Text von: RockyP

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