Der Glöckner von Penkun
Der Glöckner von Penkun (erpi)
Eiskalt sind die Stufen aus Granit, die in den dunklen Raum führen. Jeder Schritt darin hallt, als ob ein riesiger Resonanzboden den Ton aufnimmt, verstärkt und mehrfach hintereinander wieder zurückwirft.
Echolaute.
Unbekannt die Herkunft. Nur den eigenen Schritt kannst du erkennen. Doch du weißt nicht genau, wie du ihn setzen sollst. Den nächsten Schritt. Deine Augen bemühen sich um Orientierung. Ungewohnte Umgebung macht es schwer.
Geheimnisvolle Schatten bringen lebendige Lichtspiele in den Raum, zum Beispiel wenn ein Fahrzeug auf der vorbeiführenden Straße mit seinen Scheinwerfern den Weg erhellt. Andere Lichteffekte kannst du nicht eindeutig zuordnen. Unsicherheit begleitet deinen Weg. Die Ohren teilen dir ihre neuen Hör-Ergebnisse mit. Nur leise dringen Fahrgeräusche hier hinein und verebben, so wie das Fahrzeug, das aus der unmittelbaren Nachbarschaft wieder verschwunden ist. Du bleibst zurück in der wiederaufkommenden, geheimnisvollen Stille. Nur deine Schritte werden überdeutlich hörbar. Im Schein deiner Taschenlampe vermeidest du erfolgreich den Kontakt mit den hier herumstehenden Bänken und Stützbalken.
Manch Balken ist plötzlich da. Unvermittelt in Kopfhöhe oder in der Höhe der Schienbeine. Hier kann man stolpern.Es riecht auch. Eine Mischung aus Moder, Weihrauch und erloschene Kerzenstümpfe.
Nun taucht in deinem Gesichtsfeld eine weitere hölzerne Tür auf. Der Lichtkegel der Taschenlampe hat sie dem Dunkel entrissen. Zaghaft und ziemlich vorsichtig drückst du den eisernen Hebel herunter, der eher einer Tigerpfote ähnelt und die Tür öffnen und verschließen soll. Knarrend dreht die sich öffnende Tür in den Angeln.
Müsste mal geölt werden, geht es dir durch den Kopf, während deine Ohren wieder ein neues Geräusch erkennen. Flatternder Flügelschlag aus nicht eindeutig ortbarer Richtung. Tauben, Eulen, Falken? Das Geräusch wird lauter, als die nächste schwere Holztür geöffnet wird.
Dahinter?
Erneut Stufen einer Treppe. Ziegel sind das Material, das für sie vor vielen Jahren schon Verwendung fand. Im Kreise tasten sich meine Füße voran. Eine Wendeltreppe deren Stufen auf einer Seite breit und auf der anderen eng und enger werden. Im Licht deiner Taschenlampe findest du den Weg nach oben. Bis eine seitliche Tür einlädt das tastende Treppensteigen zu beenden. Selbstverständlich knarrt auch diese Tür. Gleich dahinter muss es sich befinden. Das Ziel. Der Ereignishorizont.Hier hallen die Schritte anders wider. Die hohen Fenster an den Gebäudeseiten reichen bis zur Hälfte hinauf, ihr oberes, spitz zulaufendes Ende ist aus dieser Position besser zu erkennen.Aber das ist nicht dein Ziel!
Dein Ziel sind jene drei Knöpfe, die zu schalten dir im 2-Sekunden-Rhythmus erlaubt wurde. Deine Ohren suchen den Schlag der alten Uhr im Turm. Noch zwei Schläge sollen verhallen, dann darfst du den ersten Knopf drücken, bis er einrastet. Nach zwei Sekunden dann den nächsten und nach weiteren zwei Sekunden den dritten.10 Minuten lang werden drei riesige, gusseiserne Glocken den Bewohnern der Stadt sowie denen in den umliegenden Dörfern bis weit in die Uckermark und die Uecker-Randow hinein mit harmonischem Klang das neue Jahr verkünden.
In diesem Jahr war ich der Glöckner von Penkun.
Ein Text von: erpi
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