Das Kätzchen
Das Kätzchen (heini38)
Gegen Ende September hatten Oma und Opa das neue Häuschen am Feldrand bezogen. Als erste Besucher schauten morgens etwa 5 Katzen zur Fenstertür der Küche herein. Sie schienen die neuen Nachbarn begrüßen zu wollen. Über die ersten Besucher ist man wohl immer erfreut. Außerdem dachten Oma und Opa an die Feldmäuse, die von den Katzen auf den Speisezettel gesetzt werden könnten. Etwas Milch sollte die ersten Besucher erfreuen. Aber das war wohl nicht der zweckmäßige Weg, denn von nun an betrachteten sie den Platz vor der Küche als ihr Privileg und erwarteten weitere Bewirtung.
Die zwei Maikater vom gegenüberliegendem Gut waren schön grau und weiß gezeichnet und befanden sich gerade in ihrer besten Jünglingszeit. Wir unterschieden sie nur an dem schwarzen Punkt des einen neben dem Maul. Auch der kleine Augustkater war schon kräftig und verstand sich durchzusetzen. Nur das etwa 6 Wochen alte Kätzchen musste zurückgeblieben sein. Die Knochen stachen fast durch das Fell. Futter konnte es kaum erreichen, denn die Kräftigen hatten vor ihm die Schüssel geleert. Die Nachbarin bezeichnete es auf gut sächsisch als etwas "tapsch", denn beim Fressen trödelte es noch. Außerdem hätte Nero, der große Schäferhund, schon aufgeräumt, wenn er noch am Leben wäre. So war das Schicksal des Kätzchens so gut wie besiegelt.
Das konnte Oma aber nicht mit ansehen. Von nun an hatte "Minka", wie sie getauft wurde, alle Vorrechte. Wenn sie Milch schlabberte, wurden die anderen Katzen verjagt. Ausgesuchten frischen Hackepeter nahm das Kätzchen auch bald an. Nach einigen Ängstlichkeiten fraß Minka in der Küche und begann mit einem Strickknäuel zu spielen. Sie erwachte sozusagen zum Leben und hatte sich an die neue Futterstelle gewöhnt. An einem nasskalten Schneesturmabend wollte das Kätzchen gar nicht mehr hinaus und verkroch sich unterm Schrankregal. Als Opa es hervorholen wollte, wurde er kräftig angefaucht. Am Morgen suchte Minka baldmöglichst das Weite.Die gute Versorgung, nun meist aus speziellen Dosen, zeigte ihre Wirkung. Das Fell wurde glatt und schön und Minka wuchs zu einer richtigen jungen Katze heran.
Mit der warmen Februarsonne änderte sich aber das Verhalten der Kater gegenüber Minka. Während sie vorher kaum beachtet wurde, näherten sie sich ihr jetzt ganz unzweideutig. War sie denn schon so weit? Sie war doch eben noch das kleine Kätzchen gewesen! Oma war entsetzt. Sollte Minka die Katzenschar noch vergrößern?
Im Dorf strichen gerade genug Katzen herum und für mehr Futter wollten Oma und Opa auch nicht sorgen. Der Tierarzt wurde angerufen, was man in so einem Fall wohl machen könnte. Die Kosten für eine Sterilisation waren nicht ganz niedrig. Außerdem kamen Zweifel auf, ob man nach Gutdünken über ein Tier entscheiden darf.
Schließlich entschlossen sich Opa und Oma doch zu diesem Schritt. Minka wurde von Opa in den Transportkäfig gesperrt und trotz kläglichem Maunzen zum Tierarzt gebracht. Nach 2 Tagen konnte sie wieder geholt werden. 24 Stunden musste sie noch in der Küche verbringen. Ihr Freiheitsdrang war so groß, dass sie die Scheibengardine samt Befestigung über Nacht herunterriss. Es wurde ihr verziehen. Nach ein paar Tagen hatte sie sich gut erholt, nur in die Küche wollte sie nicht mehr und Opa durfte sie nicht mehr anfassen.
Inzwischen ist einige Zeit vergangen. Minka wurde ein stattliches Kätzchen. Sie sitzt vor der Küchentür und schaut mit den smaragdgrünen Augen, in denen sich bei Sonnenlicht ein schmaler schwarzer Strich befindet, hungrig durch die Scheibe. Meistens wird sie von ihrem Bruder begleitet. Er darf nach einer schweren Verletzung an der Pfote auch mit an den Futternapf. Neuerdings sitzt sie mit Oma auf der gepolsterten Gartenbank und lässt sich streicheln. Ob sie sich noch an ihre frühe Jugend erinnert?
Ein Text von: heini38
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