Post von Luise

Post von Luise (lesefink)

Man wird es nicht glauben, aber wenn Luise Briefe schreibt, statt ein E-mail zu schicken, steht ein Erlebnis Pate. Weil ich das weiß, setze ich Teewasser an , suche den Brieföffner und bewundere mich , dass ich es im fortgeschrittenen Alter noch geschafft habe, die ankommende Post nicht einfach aufzureißen oder mit einem x-beliebigen Gegenstand zu öffnen.. -

"Dass ich staunen werde", schreibt Luise, " was sie wieder erlebt hat. (Dacht ich´s doch) "Also das war vergangene Woche, - Besuch bei Freunden in Halle, Rückfahrt am Freitag. Weil das Auto von Reichardts in der Werkstatt war - sie holen mich sonst immer ab und bringen mich wieder zum Bahnhof, - -bestelle ich mir eine Taxe. Rechtzeitig .Auf die allerletzte Minute das mag ich nicht mehr, die Treppe zum Bahnsteig hochstürmen und möglichst noch auf den fahrenden Zug springen! Das war einmal.

Ich hatte Zeit genug und als wir am Theater vorbei fuhren in Richtung Post, fiel mir plötzlich ein, dass Fleischer Kögel in der Steinstraße gleich neben der Promenade immer so herzhafte Wurst hatte . Meist kaufe ich- wenn ich in Halle bin auf der Rückfahrt an einem Thüringer Stand in der Bahnhofshalle die berühmte Rot- und Leber-, vor allem aber Schwartenwurst. Schmeckt eben nach Heimat. Also gut, ich frage den Taxifahrer , ob er mal eben am Martinsberg halten kann, der ist ja gleich gegenüber . Als hätte ich verlangt, die Post zu überfallen , fährt der mich an, ob ich schon mal was von Einbahnstraßen gehört hätte. Hatte ich natürlich, aber wie soll ich wissen, ob die Steinstraße dazu gehört. Um es kurz zu machen er war unfreundlich und auch als ich ihm sagte, dass ich die Wartezeit bezahlen wolle , murrte er. Da bin ich ausgestiegen und habe höflich gefragt, was es bis zum Bahnhof kosten würde. , gab ihm 15 Euro aber keinen Pfennig Trinkgeld. Hättest Du bestimmt auch nicht gemacht, oder?

Also er gibt mir meinen Rentner-Mercedes aus dem Kofferraum und ich gehe quer über die Straße . Zu Kögels. Herrlich, schon der Geruch macht mich glücklich .Die hohe Rippe lacht mich an, ebenso die Rouladen, es lohnt sich. zu den drei Wurstsorten noch weitere Vorräte mitzunehmen , der Mercedes schafft das.

Was er aber nicht schaffte, das war die herrliche resedafarbene Wolldecke, die in dem Kunstgewerbeladen nebenan zum Mitnehmen verlockte. Die passte genau auf meine dunkelbraune Couch, würde das ganze Zimmer beleben. Also muss sie mit. Wie die Verkäuferin sie nun zu einem Packet zusammenrollt , scheint sie mir doch ein wenig zu umfangreich. Ich zaudere. Nehme das Packet in die Hand. Hat ein ziemliches Gewicht. Ob ich´ s sein lasse? Da steht plötzlich der "Alte Fritz" hinter mir und sagt: "Ich trage sie."

Du erinnerst Dich gewiss, wir haben ihn Fritz genannt, obschon er Erwin hieß, Aber erstens klingt Fritz besser als Erwin und zweitenshatte er eine leicht gekrümmte Nase und spielte Flöte wie der alte Fritz, den wir zwar nicht persönlich kannten ,der aber nun mal zur deutschen Geschichte gehört.

Da staunst Du natürlich, wo der plötzlich her kam, unser ehemaliger Mitschüler, der erst in der 11. Klasse an unsere Schule kam, weil seine Eltern lange im Ausland waren. Und so sprach er- auch das passte zum alten Fritzen, wunderbar französisch. "Ich bringe Dich zum Bahnhof," sagte er jetzt aber auf Deutsch," hab Dich schon gesehen, wie du zum Fleischer reingegangen bist, um Dir Wurst aus Halle mitzunehmen, stimmts. Stimmt.Ich zahle, er nimmt das Packet und die Verkäuferin blickt uns verwundert hinterher. Fritz schaut auf die Uhr an der Post, " die 4 muss gleich kommen." " Ja, sage ich, es wird langsam Zeit " Die Vier kommt, aber als wir am Bahnhof aussteigen, ist der Zug weg. " Ich habe eine Umwegkarte über Leipzig sage ich, kann also in Leipzig noch den ICE kriegen oder wenn der auch weg ist den Regionalzug nehmen, der dort eine Stunde später abfährt. Der alte Fritz geht zum Fahrplan-Plakat, - OK ich habe eine S-Bahnkarte und bringe Dich nach Leipzig. Alles wie selbstverständlich, als stünden wir in der großen Pause auf dem Schulhof zusammen und plauderten miteinander.

In Leipzig fährt der Zug nach Berlin mit Umsteigen in Doberlugk gerade ein. Schade, denke ich, da sagt er, ich fahre mit. Vor Schreck bleibe ich beim Einsteigen mit dem Absatz hängen."Du hast doch keine Fahrkarte." Man kann sie im Zug lösen." Kann man. Aber als der Schaffner kommt, weist er streng daraufhin ,dass man sich mindestens melden muss, "also ...." "Nichts also", sagt der alte Fritz, "die Dame hat sich beim einsteigen den Fuß verstaucht, ich konnte sie nicht allein lassen". Die Mitreisenden lächeln und nicken als hätten wir das Spiel verabredet. Ich staune. Und dann setzen wir uns. Wann haben wir uns das letzte mal gesehen? Gut sieht er aus, der alte Fritz, jetzt hätte ich gern einen Spiegel. Da zieht er ihn aus der Tasche ,gibt mir ein Tempo-Taschentuch und fragt: Du hast wohl von der Rotwurst schon gekostet.? Alle lachen.Schön ist das, gemütlich, vor jeder Station über Lautsprecher das alte Lied-"Wer recht in Freuden wandern will". Das Wetter ist danach, Ein Frühsommertag, Wir schauen aus dem Fenster und manchmal sehen wir uns auch an.Viel geredet haben wir nicht, es war als hätten wir uns erst gestern das letzte mal gesehen. Und die Natur tat ein übrigens . Das junge Grün derBäume, mal heller, mal dunkler, mal näher mal fern. Felder und Wiesen, der Himmel und dieses putzige Doberlugk-Kirchhain, ich fand es beimUmsteigen immer schrecklich, jetzt sah ich zum ersten mal vom oberen Bahnsteig aus über das Land. Fritz hatte den Mercedes an der einen die Wolldecke in der anderen Hand, ich trug meine Handtasche wie Gräfin Maritza und fand die Treppen überhaupt nicht lästig.
Mehr und mehr tauchten wir in die Landschaft der schönen Kiefern wälder.

!Hier lasst uns Hütten bauen", sagte er, und als der Laut-sprecher tönte: In wenigen Minuten erreichen wir Wünsdorf, holte er den Mercedes und die resedafarbene Decke aus dem Gepäcknetz und behauptete, "W ü n s dorf, da wollte ich schon lange mal hin, in das Antiquariat" Dass ich schon mindestens zehn mal dort war, ich hatte es schlankweg vergessen und griff sofort nach der Wolldecke, ".Lass man, "sagte er, "jetzt bin ich dran""Wieso, ich kann doch auch was tragen." Da machte er den Vorschlag, dass wir uns ein schönes Plätzchen im Wald suchen und Picknicken, Wurst hast Du ja im Köfferchen und ein paar Brötchen werden sich doch wohl auftreiben lassen, die darfst du zurechtmachen, gestärkt gehen wir dann ins Antiquariat. "Erst am Waldrand entlang, dann mitten durch die herrliche Wiese hin zu einer Baumgruppe. Sorgfältig wickelte er die Decke aus dem Packpapier, glättete es, legte Reseda auf Grün und bat mich Platz zu nehmen . Selbstverständlich hatte er ein Taschenmesser und Tempotaschentücher als Servietten zur Hand. Noch nie habe ich ein so herrliches 2. Frühstück erlebt. Schließlich als die Reste eingepackt waren, legten wir uns auf den Rücken und sahen den vorüberziehenden, sich immer wieder anders formierenden Wolken zu.

"Sind sie nicht die besten Baumeister der Welt", fragte Fritz nach einer Weile." Die Berge bilden sie ebenso nach wie sie Schlösser am Himmel errichten, und wenn es ihnen nicht gefällt, bauen sie Neues". Ich hatte es schon manchmal gedacht, dass sie richtige Architekten seien, sagte aber auch , dass sie das beweglichste Material zur Verfügung, hätten, Luft und Wasser. Ja, das müsse er zugeben, gut wenn man drauf kommt. !"Ich verbuchte es als Erfolg und fuhr sogleich fort: "Aber die Sonne wollen wir auch nicht vergessen als beste Malerin und dachte dabei an meinem geliebten See . wo sie untergehend oft alle Farben noch einmal am Himmel aufleuchten lässt. "Was aber nicht ohne die Wolkenbildung ,schönste Leinwand für die Farben, möglich wäre. Und was den Sonnenuntergang angeht, er habe ihn oft erlebt, überall in der Welt am Ozean und an kleinen Waldseen, "aber die Wartburg, erinnerst Du Dich damals bei der Klassenfahrt nach Eisenach, die Wartburg als Hintergrund und die Wolken ungeheuer oben, das weiß ich noch , und als ich aufsah, warst Du neben mir. . Vergessen habe ich es nicht, den Weg spätabends durch die Drachenschlucht, wo Du Dich ein bisschen ängstlich einfach bei mir eingehakt hast. Dass er das noch weiß, dachte ich. Ist doch gut und gerne ,warte mal, ja über dreißig Jahre her. Die Zeit vergeht.Auch jetzt.
"Wenn wir noch ins Antiquariat wollen" ,sagt er ," müssen wir gehen." Langsam sich noch einmal umsehend, steht er auf, reicht mir dann seine Hände und zieht mich hoch, Auf Augenhöhe sieht er mich an und ich dachte, wie schön, wenn einen kräftige Hände zupackend und doch zärtlich empfangen.

Da klingelt mein Wecker. Mitten in der Nacht, 4.OO Uhr morgens. Ich hatte einen unerhörten Zorn. Glaub mir, ich hatte ihn nicht gestellt. Vor 3 Tagen vielleicht, kann sein, - weil ich nach dem Mittagschlaf zur Post wollte, und die schließt ja 17.OO Uhr. Seither kein Mucks von ihm, Morgens brauche ich keinen Wecker, wenn es hell wird, werde ich wach, aber es wird ja erst spät hell. Eine Frechheit. Ich hatte nichts gegen ihn bis jetzt. Er steht auf dem Bücherregal neben dem kleinen hölzernen Elefanten und ich denke oft, was mag meinem kleinen Talis-mann nachts manchmal vorticken, kann er Geschichten erzählen? Aber dass er mir das angetan hat, ein paar Stunden hätten wir doch noch zusammen sein können. Fritz hatte nichts gefragt, ich habe nicht gefragt, ob er Verpflichtungen hat. Nur dass er gern mal einen Tag ganz locker ausspannt und nicht alles nach der Schnur laufen ließe was weiß ich . Ein schöner Tag. Selbst dem Taxifahrer hatte ich seine Unhöflichkeit verziehen.

Was meinst Du Cornelia, ob wir mal ein Klassentreffen organisieren sollten, das machen doch jetzt so viele. Und du hast doch ne Menge Verbindungen, auch so von früher.
Käthe Seelig

Eine Geschichte von lesefink

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