Besuch aus Afrika: Fortsetzung

Fortsetzung:
Ich bin wieder allein und kann endlich die mitgebrachte Decke um die kalt gewordenen Beine wickeln. Die Amsel hat längst ihren sowieso wirkungslosen Protest eingestellt und sich in das Gebüsch verzogen. Drei Graureiher streben mit gekröpften Hälsen und weit ausholenden Flügelschlägen gen Himmelmoor, sicher gut gesättigt von den Fischen aus den nahen Dorfteichen.
Der sich auflösende Nebel und die besitzergreifenden Sonnenstrahlen lassen die Schlehdornhecke optisch allmählich länger werden. Mir fällt wieder ein, warum ich eigentlich zu dieser frühen Stunde hier her gekommen bin:
Ich warte auf Besuch, – Besuch aus dem fernen Afrika, der sich in diesen ersten Maitagen eigentlich einstellen sollte, und zwar hier an der Bilsbekbrücke: Ein seltener, ungefähr spatzengroßer Vogel mit buntem Gefieder. Als Rotrückenwürger bezeichnet ihn das Lehrbuch, der Volksmund nennt ihn Neuntöter, weil er sich angeblich von neun verschiedenen Insekten und anderen Tierarten ernährt, die er gelegentlich auf Dornen aufspießt, zwecks Vorratshaltung für unergiebige Regentage.
Er kommt für vier Monate in unsere Breitengrade, und zwar nur , um hier zu brüten und seine Jungen aufzuziehen. Schon ab Mitte August fliegt er wieder zurüch nach Afrika, bis in den Kongo am Äquator.
Lange Zeit war es still um ihn geworden, oder, deutlicher gesagt, es gab ihn kaum noch. Keiner wußte genau, warum er sich so rar gemacht hatte. Aber seit nunmehr einigen Jahren ist er auch bei uns wieder vermehrt zu beobachten.
Vogelfreunde beurteilen gern jedes Naturareal nach seiner Nutzbarkeit für ihre gefiederten Lieblinge. „Hier könnte die Wasseramsel leben!“ oder „Eigentlich müßte dort der Steinkauz vorkommen!“ murmelt man vor sich hin, wenn man einen steinigen Bachlauf oder eine Gruppe knorriger Kopfweiden sieht.
So hatte auch ich spontan an den Neuntöter gedacht, als ich vor vielen Jahren die Schlehdornknicks an der Bilsbekbrücke zum ersten Mal sah. „Wenn überhaupt, dann muß er hier sein!“ Und, siehe da, er tat mir den Gefallen! Irgendwann in einem Frühsommer sah ich ihn schon von weitem auf einem der höchsten Zweige über dem Knick, zwar nicht genau an der Stelle, die ich ihm zugedacht hatte, aber immerhin.
Fahrrad anhalten, Fernglas vor die Augen, scharf stellen: jawohl! Dunkler Augenstreif und brauner Rücken! Regungslos saß er da, auf Ausguck nach Beute! Seine Partnerin konnte nicht weit weg sein, denn um diese Zeit waren bestimmt Junge im Nest und wollten gefüttert werden. Ich mußte nicht lange warten, da zeigte sich auch das Weibchen, und zwar emsig bemüht um Futter für die Jungen. Offensichtlich war die Brut gelungen, denn beide gönnten sich nur wenig Zeit zwischen den rasanten Flügen nach Insekten und anderem Getier. Ich war um ein Erlebnis reicher und konnte beruhigt weiterfahren.
Neuntöter sind sehr standorttreu, d.h. sie kommen fast immer an die gleiche Brutstelle zurück. So konnte ich in den kommenden Jahren ziemlich sicher sein, jeweils in den ersten Maitagen meine Freunde an der Bilsbekbrücke begrüßen zu können. Jetzt ist die Zeit wieder da, aber so oft ich auch durch das Glas schaue, immer ist es ein Grünling, eine Goldammer oder was anderes, was dort irgendwo sitzt oder fliegt.
Im letzten Jahr hatte ich in meinem Beobachtungskalender den 9. Mai notiert. Es war wieder das Männchen zuerst da und hatte mich dieses Mal durch seinen schnarrenden Ruf zum Fernglas greifen lassen: Jawohl, da saß er wieder, ganz in meiner Nähe auf einem Zaunpfahl. Und es kam mir so vor, als wenn er sich auch freute, daß wir uns endlich wieder sahen, schließlich waren wir ja schon alte Bekannte.
Einige Tage später gesellte sich das Weibchen dazu, und dann war was los am Dornenbuschknick! Immer, wenn ich des Weges kam, sah ich sie, mal gemeinsam auf Jagd, mal dicht zusammen hoch oben auf einem Zweig.
Und dann wurde es ruhiger: nur das Männchen war noch auf Beute aus und flog mit dieser ganz gezielt an einer bestimmten Stelle in den Dornenbusch: es wurde gebrütet!( siehe Schluß)

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