Schafschlachten Fortsetzung

Die große Bluttat sollte sich auf der mäßig beleuchteten Scheunendiele abspielen, im Schein einer 25-Watt-Birne. D.h. die kleinen halbrunden Eisenfenster, die sowieso kaum Einblick in das Gebäudeinnere gewährten, waren mit Kartoffelsäcken zugehängt, die hintere Durchfahrtstür mit einem vorgeschobenen Ackerwagen verrammelt und die vordere Tür sollte von mir bewacht werden. „Wenn dor jemand kummt, denn kloppst du dreemal an de Döör!“ kam für mich aus dem Dunkel die nächste Anweisung in ungewohntem Befehlston. „Uk, wenn Mama kummt?“ „Jung, nu stell di nich dummer an as du bist!“ kam es barsch zurück.
Die Hauptperson, der Schafbock, war auch schon da. Er stand seit einer halben Stunde am Ständer angebunden und betrachtete die Szenerie um sich herum meist ohne jede Regung. Nur ab und zu bekundete er sein Mißfallen durch kurzes Blöken.
„So, nu mok de Döör von buten to!“ Ich folgte dieser Anweisung prompt und merkte, daß mein Herz von nun an sehr viel schneller schlug als sonst. Drinnen war es still geworden, und es blieb auch still. Fünf Minuten, zehn Minuten, oder war es schon länger her? Absolute Ruhe! Ob der Bock wohl schon tot war? Nein, – hatte er gerade eben nicht ganz kurz geblökt? Genau so, wie er es immer tat, wenn wir ihn beim Spielen zu sehr quälten? Wehre dich doch, Schafbock! Reiß dich los und laufe ganz schnell weg! Ich will auch gern auf Fleisch verzichten! All‘ diese Gedanken gingen mir durch den Kopf.
Mutter kam mit einem Eimer aus dem Haus, wahrscheinlich um Blut aufzufangen. „Na, is de Buck all doot?“ „Weet ik nich, Papa hett noch nix seggt!“ „Denn düürt dat woll noch’n beten“, und damit ging sie wieder ins Haus.
Ich wollte jetzt Gewißheit haben und öffnete die Tür einen ganz kleinen Spalt, so daß ich mit einem Auge alles sehen konnte. Und was sah ich? Vater stand rittlings über dem Bock, hielt diesen zwischen den Knien fest und bog seinen Kopf mit der linken Hand nach oben, so, als wenn er mit ihm schmusen wollte. Die rechte Hand konnte ich nicht sehen, dagegen aber den Hals des Tieres und daß dieser ganz glatt und sorgfältig abrasiert war. Und jetzt sah ich auch das blanke Messer, wie es immer hin und her geschwenkt wurde, unter dem Hals, aber immer so, daß es die Gurgel nicht berührte.
Plötzlich sah Vater mich: „Rrrrut, mok sofort de Döör wedder to!“ Solche Lautstärke hatte ich von ihm noch nie gehört, und dann noch, wie er mich mit hochrotem Kopf angekuckt hatte! Ich knallte die Tür zu und wollte weglaufen, aber ich mußte ja auf dem Posten bleiben. Also wieder warten, warten, warten. Und wieder diese Stille, fünf Minuten, oder zehn? Ich hatte gar kein Zeitgefühl mehr.
Plötzlich aber rührte sich was in der Scheune, als wenn ein metallischer Gegenstand irgendwo gegen flog. Fast im gleichen Moment flog auch die Tür auf, die ich doch bewachen sollte und unser Vater rannte an mir vorbei ins Haus. Ich hörte ihn noch rufen : „Ik kann`t nich! Ik krieg`t nich fertig! Roop Nohber Altmann her, he schall sofort komen!“
Ich machte jetzt die Tür ganz auf, so daß Licht ins Dunkel fiel: Der Bock stand nach wie vor am Ständer angebunden und begrüßte mich mit einem fröhlichen Geblöke, als wollte er mir sagen: nu binde mich doch los, ich habe genug von diesem Spiel! Das tat ich dann auch, und er rannte mit seinem geschorenen Hals nach draußen, rannte durch den Garten und hin zu seiner Wiese.
Daß er am gleichen Tage noch durch einen gezielten Schlag mit der stumpfen Seite einer Axt sein Lebenslicht ausgehaucht hat, muß ich nicht weiter ausführen.
Ich wurde anschließend aber noch einmal ins Gebet genommen, dieses Ereignis ja für mich zu behalten. Was ich dann auch lange Zeit getan habe, – bis zur Goldenen Hochzeit meiner Eltern im Jahre 1982, dort habe ich die Geschichte mit Erlaubnis meines Vaters vorgetragen. Man hat herzlich darüber gelacht – und der eine oder andere vielleicht auch eine kleine Träne zerdrückt.
Klostermeier

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