Wahre Geschichten (4)

Tomaten Fortsetzung

Zurück zu den Blüten. Es gefiel mir, wenn ich auf den Balkon trat um meine Mätchen zu begrüßen und sie mir entgegenleuchteten. Es schien, als erwiderten sie meinen Gruß mit einem leichten Neigen ihrer Blüten. Dann sah ich, daß die kleine Verbindung von der Staude zur Blüte eine Knickstelle aufwies und ich fürchtete, daß dies von dem Nicken kommen könnte. Daß dies aber nicht so war, stellte ich einige Tage später fest. Am Ende der mehrtägigen Blütezeit welkten die inneren gelben Blütenblätter und die grünen äußeren veränderten ihr Aussehen unterschiedlich. Einige entwickelten sich weiter, wurden stark und kräftig, die anderen – es war die Überzahl – nahmen eine gelbliche Färbung an und begannen zu vertrocknen, genau ab der Knickstelle. Und dort brach später auch der Rest der unbestäubten Blüte ab, eine vorgegebene Sollbruchstelle.
Tomaten werden – wie mir ein Gartenfreund sagte – nicht wie andere Pflanzen vom Wind, sondern nur von Hummeln bestäubt. Wenn das stimmt, wäre das zwar eine mögliche Erklärung dafür, daß mehr Blüten abfielen als sich Fruchtansätze bildeten, doch ich vertraue dieser Aussage nicht ganz, denn seit langer Zeit sah ich keine Hummel im weiten Umkreis unseres Balkons und schon gar nicht an den Blüten. Wenn ich es recht bedenke, habe ich überhaupt kein Insekt in der Nähe meiner Tomaten entdeckt. Hinsichtlich der Bestäubung herrschte also bei mir noch völlige Unwissenheit.
Eine der Blüten hatte mittlerweile einen deutlich sichtbaren Knoten angesetzt. Das Stengelchen und die äußeren Blütenblätter waren dunkelgrün und kräftig geworden, als bereiteten sie sich auf eine schwere Last vor, die es zu tragen galt. Und nachdem die erste Blüte den Durchbruch geschafft hatte, folgten andere nach und ich zählte bald 16 Fruchtansätze. Bis jetzt hatte ich mit meinen Tomaten nur Erfolge erlebt und ich war richtig stolz. Der Samen war gekeimt und die Setzlinge angewachsen, die Pflanzen hatten sich prächtig entwickelt, Blüten hervorgebracht und nun hingen sogar ganz kleine Früchtchen an den Stengeln. War das kein Grund zur Freude?
Im Verlauf der nächsten Tage wuchsen die Kleinen und weitere Ansätze wurden sichtbar. Dann dauerte es nicht mehr lange, bis sich das Grün der Frucht verfärbte und in ein undefinierbares Grün-gelb überging, das in ein hauchzartes rosa wechselte und immer kräftiger wurde, bis es schließlich zu einem satten Rot wurde.
Nun, da eins meiner Mätchen völlig errötet war, ging ich noch öfter zu ihnen. Aber die Tomate, deren Blüte zuerst aufgegangen war, strahlte noch in jungfräulichem Grün. Eine andere hatte sie überholt und reifte heran.
Dann war es soweit. Ich fühlte mich nicht ganz wohl bei dem Gedanken, daß ich mein Mätchen nun von ihrem Strauch abpflücken sollte. Ich hatte sie so lange mit Hingabe gepflegt, sie bewundert und ihr Wachsen begleitet, und nun sollte ich … Ich nahm allen Mut zusammen und knickte sie ganz vorsichtig ab, genau an der Stelle, wo sie auch bei Nichtbefruchtung abgebrochen wäre. Behutsam trug ich sie in die Küche und fragte meine Gefährtin: „Ich habe ein Geschenk für dich, du kannst sie essen!“
„Essen soll ich sie? – Das ist Leben. Ich bin doch kein Kannibale!“ antwortete sie und ich meinte, so etwas wie Entsetzen herauszuhören. Ein neues Problem war entstanden, daran hatten wir vorher nicht gedacht. Ich kam mir vor wie der Gast in einem Fischlokal, der vor dem Karpfen-Bassin einem ganz bestimmten Fisch in die Augen schaut und dem Kellner sagt: Der da, den will ich fressen – pardon, verspeisen! Das könnte ich nicht.
Aber es ist doch nur eine Tomate, versuchte ich die innere Empfindung zu übertönen. Nur eine Tomate! – Ist sie nicht auch ein Stück Leben, wenn auch ein pflanzliches? Es ist schon schlimm, daß ein Lebewesen das andere frißt, auch der Mensch als die vermeintliche Krone der Schöpfung ist da keine Ausnahme. Ich war erstaunt, welche Gedanken und Gefühle mir durch den Kopf gingen – wegen einer Tomate. Zwei Tage lag mein Mätchen auf der Fensterbank und lächelte mich mit ihren roten Bäckchen an und mir schien als sagte sie mir: Ich habe mich für dich so schön gemacht, nun darfst du mich auch essen!
Nun ja, ich habe sie gegessen und sie hatte einen guten Geschmack, allerdings gab ich ein paar Körnchen Salz hinzu. Die würzige Soße, aus der ich die Samenkörnchen gefischt hatte, war ohne Wirkung geblieben. Einen Vergleich mit der Original-Tomate aus Rumänien konnte ich nicht mehr anstellen, ich hatte deren Geschmack vergessen. Aber sie hat – ebenso wie ihre Nachfolgerinnen – viel besser geschmeckt, als alle anderen, die man hier kaufen kann, allein schon wegen der schönen Erinnerungen, die damit verbunden sind.
Ob ich es noch einmal versuche? Ich glaube nicht – aber ein paar Samenkörnchen habe ich vorsichtshalber mal aufbewahrt.

Ende

Ähnliche Beiträge

Blütenschnee

Süßer Blumenduft in milden Frühlingsluft. Weise Blüten unterm blauen Himmelszelt streichelnder zarter Windhauch auf der Haut Obstbäume aus denen es Blütenblätter schneit Am Boden eine…

ERFÜLLUNG

Pfingsten Wenn Göttlicher Geist die Seele durchdringt und leise anrührt, trunken macht; Der aufbrechen und entflammen lässt so, dass ein Tosen über uns hinwegbraust, zugleich…

Kommentare

  1. Ganz herrlich beschrieben!!!
    DANKE.
    Ab ich´s auch mal versuchen sollte....
    Tomaten sollen ja sehr gesund sein, mit Avocado, Nüssen etc. im Salat...

Verstoß melden

Schließen