Wahre Geschichten (3)

Tomate (Fortsetzung)

Und siehe da, nach kurzer Zeit sproß das erste Grün. Erwartungsvoll schaute ich jeden Tag auf die Sprößlinge, ob es denn wirklich Tomaten sind. Die ersten Blättchen sahen gar nicht danach aus. Aber mit jedem grünen Köpfchen, das mit dem alten Samenkorn als Mütze hervorkam, wuchs meine Zuversicht und wurde schließlich zur Gewißheit, als sich der erste unverkennbare Duft der Tomate bemerkbar machte. Wenige Tage später war bereits die ganze Oberfläche des Blumentopfes bedeckt und immer noch sprossen weitere Keime. Na, das kann heiter werden, dachte ich und pflanzte die kräftigsten Setzlinge in Blumenkästen aus. Doch eine solche Menge an Pflanzen war für meine Möglichkeiten viel zu viel des Guten. Wieder spürte ich die starke Wirkung meiner Zuneigung: Ich war nicht imstande, die übrigen Keimlinge einfach wegzuwerfen, das brachte ich nicht übers Herz. In den folgenden Tagen verteilte ich die Pflänzchen an Freunde und Bekannte, die nicht schnell genug Nein sagten. Aber immer noch hatten wir viel zu viele Pflanzen und so holte ich den letzten Blumenkasten aus dem Keller, wir kauften Erde und noch einen Kübel dazu. Sorgfältig pflanzte ich die zarten Gewächse um und gewährte ihnen reichlich Platz – glaubte ich. In Gärten haben die Pflanzen etwa 50 cm Abstand voneinander, bei mir nur etwa 15 cm. Aber ich hatte das untrügliche Gefühl, daß meine Tomaten sich bei mir wohlfühlten. Nach der Pflanzaktion begoß ich sie und ließ sie sich erst einmal in Ruhe von diesem Schock erholen. Sobald die Pflanzen sich erholt hatten – ich sah es an den aufrechten Blättern – begannen sie auch wieder zu wirken, auf mich positiv, auf meine Gefährtin negativ.
„Du mußt ihnen viel mehr Wasser geben!“ sagte sie, obwohl ich kurz vorher gegossen hatte. – Kein Wort sagte sie über ihre vorangegangene Prognose, daß der Samen niemals aufgehen werde. – Doch meine Tomaten wuchsen und gediehen, und ich freute mich darüber.
Meine »Mätchen«, so nannte ich meine Tomaten, entwickelten sich ganz gut. Jeden Morgen begrüßte ich sie und schaute nach ihrem Wohlergehen. Sie dankten es mir mit steter Weiterentwicklung. Damit ihr Wuchs möglichst aufrecht erfolgen könne, holte ich einige Stöckchen und stützte die noch jungen Stämmchen. Zwischen meinen Mätchen und mir hatte sich in dieser relativ kurzen Zeit eine richtig gute Beziehung aufgebaut. Ich freute mich, daß sie so üppig gediehen, sprach mit meinen Pflanzen und sie zeigten mir, wenn sie wieder Durst hatten. Ab und zu machte ich ein Foto, um ihren Fortschritt festzuhalten.
Ich sagte schon, daß ich so gut wie keine gärtnerischen Kenntnisse besitze. Das wenige, das ich weiß, stammt aus meinen jungen Jahren und bezog sich kaum auf Tomaten. Aber meine Gefährtin hatte noch weniger Ahnung. Trotzdem fragte sie mich in ihrer ‚reizenden’ Art:
„Warum entfernst du eigentlich nicht die unteren Zweige. Die nehmen doch nur unnötig viel Kraft weg. Die Pflanzen haben so wenig Erde, daß sie alles brauchen, um zu wachsen, zu blühen und Früchte zu entwickeln!“
Aus dem Bauch heraus antwortete ich, daß es doch Nachtschattengewächse seien und der Schatten, den die Blätter werfen, die Verdunstung des Gießwassers verhinderten. Aber so ganz überzeugt war ich nicht, schließlich verdunsten Blätter auch Feuchtigkeit.
Als die unteren Blätter sich verfärbten, schnitt ich sie dann doch ab und legte sie den Pflanzen zu Füßen. Auf diese Weise konnten sie die Austrocknung der Erde in ihrem Kasten verhindern. Dabei ist mir auf dem Umweg über ein gelb-grün verfärbtes Handtuch aufgefallen, daß die Blätter und Stengel der Tomate bei einer intensiveren Berührung eine Farbe abgaben, die sich allein mit Wasser nicht so leicht abwaschen ließ und im Handtuch landete.
Ob es nun die Beschneidung bewirkt hatte, oder ob die Zeit sowieso schon reif war, jedenfalls begannen meine Stauden zu blühen. Jeden Tag öffneten weitere ihre Kelche und es kamen mir Bedenken, was wohl wäre, wenn alle Blüten Früchte brächten. Eine weitere Erfahrung wurde mir zuteil und ich denke, daß dies wirklich nicht viele Menschen wissen: Einen der abgeschnittenen Zweige steckte ich in eine freie Stelle des Kastens, damit er hier Schatten spenden könne, solange er noch grün ist. Aber er blieb grün, und als ich an ihm zupfte, spürte ich, daß sich das Zweiglein in der Erde verkrallt hatte; es hatten sich Wurzeln gebildet. Die noch verbleibende Zeit bis zum Herbst wird nicht ausreichen, um zu erfahren, ob dieses Pflänzchen imstande ist, Früchte zu bringen.

(Fortsetzung Teil 4)

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