Der freie Wille - II

Fortsetzung:

Oder gestern erst:

Als erwachsener, na gut, als älterer Mensch weiß man einfach, dass es höchst leichtsinnig ist, in einer Behausung mit Parkett und lackierten Treppen Fellpantoffeln den Vorzug vor Filz-Clocks mit geriffelter Gummisohle zu geben. Man weiß es und tut es trotzdem, weil es nichts Schöneres gibt als mollig warme Füße und mit Anlauf durch’s Wohnzimmer zum Sofa zu schliddern... ohne dabei einen Tropfen Rotwein zu verschütten. Dass man sich ansonsten bei jedem Schritt in Konzentration üben muss ist, je nach dem wie viel oder wenig Fürsorge man sich selber gönnt, eine Plage oder sinnvolles Training.

Weswegen sie mir gestern trotz des reichlichen Wohlwollens, das ich mir normalerweise entgegen bringe, gerade so lange abhanden kam, bis das Unglück nicht mehr aufzuhalten war, macht mir heute noch zu schaffen, besonders während ich dies hier tippe und dabei völlig schmerzfrei nur den rechten Zeigefinger einsetzen kann - alle anderen sind noch sehr berührungsempfindlich. Und aufrechtes Sitzen fällt mir auch schwer.

Es war nämlich so: Am späten Abend, gerade erst erleichtert aus den Businessklamotten gestiegen, die kalten Füße in die geliebten Fellpantoffel versenkt, bewaffnet mit einem Glas spanischen Crianza und einem Stück Appenzeller Käse (mehr gibt der Kühlschrank einer Berufstätigen freitags um diese Zeit nicht her), in Gedanken bei dem, was von der Tagesagenda gerutscht und über’s Wochenende nachzuholen war, und auf halbem Weg zur Couchecke tat ich einen Schritt anders als üblich und gut für mich war. Mein mit Fell überzogener, linker Fuß schoss über den Punkt, an dem normalerweise Bodenhaftung entsteht, hinaus und nach oben, zog zum Ausgleich meinen Oberkörper nach hinten, und, um in luftiger Höhe nicht zu vereinsamen, das rechte Bein gleichfalls schwungvoll aufwärts. Insgesamt jedoch ging es mit mir rasant nach unten.....

....aber keineswegs gedankenlos und ohne Möglichkeit, mich für die Art des Aufpralls zu entscheiden. Vom allerersten Moment des Kontrollverlustes an war mir bewusst was passieren würde, ungeklärt war allein die Frage, wie es bewerkstelligt werden konnte, dass es nicht weher täte als unbedingt nötig, das hieß, es war eine Menge schneller Willensbildung notwendig, ehe noch schnellere Beeinflussungsmaßnahmen einsetzen mussten. Zunächst galt es also festzustellen, dass vom Käse in der linken Hand keine und vom Glas mit Rotwein in der rechten Hand nur dann Gefahr ausgehen würde, wenn ich es weiterhin umklammerte. Beides loslassen (sogar noch mit Drall in die richtige, keine weiteren Schäden verursachende Richtung) und entscheiden, ob ich es vorziehe

a) ungebremst auf den schmerzempfindlichsten Punkt meines verlängerten Rückgrats zu krachen (inkl. Berücksichtigung aufblitzender Erinnerungen an frühkindliche ‚Niederlagen’ bei sportlichen und spielerischen Aktivitäten),

b) zu versuchen, mich effektiv abzufangen und dabei das Risiko einzugehen, mir die Handgelenke böse zu verstauchen (inkl. Berücksichtigung ähnlicher Erinnerungsblitze wie unter a)) oder

c) von allem ein Bisschen in Kauf zu nehmen und mir durch geschickte aber keineswegs erklärbare Gewichtsverlagerung anstelle eines heftigen Schadens drei geringfügigere, schnell vergängliche Blessuren einzuhandeln,

war eins.

Da die Fallhöhe und somit die Zeit zum Überlegen von der Länge meiner Beine abhing, konnte ich mich in aller Ruhe für Möglichkeit c) entscheiden. Ich denke, am Montag bin ich wieder wie neu!

Aufgrund dieser Erfahrungen halte ich selbstverständlich an der Annahme fest, dass es sehr wohl einen freien Willen gibt. Ich kann mir aber vorstellen, dass zwischen Gehirn und Körper eine Vereinbarung darüber besteht, dass ab der soundsovielten Wiederholung einer Situation der Körper allein reagieren darf und das Gehirn die Tat nur noch als durchgeführt und zur Kenntnis genommen quittiert, z.B. wenn Mann in der Küche beim Kochen einem Spritzer ausweicht oder Frau das Auto rückwärts in die Garage zirkelt. Alltägliches eben!

M. 😉

PS: Es würde mich freuen und erleichtern, wenn sich herausstellte, dass so etwas nicht nur mir gelegentlich widerfährt. Noch schöner wär’s zu hören, dass sich Dergleichen auch bei nicht so schmerzhaften, ja sogar bei ausgesprochen erfreulichen Ereignissen zuträgt.

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Ach, Floh, Du Arme.... Süße.... 🙂

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Kommentare

  1. oh da könnte ich einen Vielzahl an Beispielen beitragen. 🙂 Ich meine allerdings, dass in "gefährlichen" Situationen der Ausstoss an Stresshormon, ungleich mehr zu so schnellen Gedankengängen und der daraus resultierenden Reaktion, führt. In angenehmen Situationen verlangsamt sich die Reaktion und man kann sich während des Geschehens Zeit lassen.

  2. Hallo liebe @Modesty,

    ich muß ehrlich gestehen, dass ich schon gehörig mit dir haderte. Denn, wenn man für etwas wie deine Blogs Feuer gefangen hat,dann wird man ganz schön zappelig, wenn nicht auf dem Fuß gleich Nachschub folgt. Und in der Tat, seit dem 4. Dezember 08 mussten ich und vielleicht so manch andere(r) diesbezüglich abstinent bleiben. Aber nun war es Gott sei Dank endlich wieder soweit und zwar sogar gleich im Doppelpack. Grossen Dank dafür! Dabei habe ich mich keineswegs an deinen Mißgeschicken gelabt sondern selbstverständlich wieder nur an deren vorzüglicher, detailgetreuer Schilderung. Ansonsten hoffe ich natürlich stark, dass deine Wunden inzwischen erfolgreich behandelt werden konnten und es eine top @Modesty wieder gibt.

    Bis zum nächsten Mal eine gute, unfallfreie Zeit wünscht dir

    @heklavog

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