Weihnachten 1984

  • Weihnachten 1984

     Mondin antwortete vor 4 Jahren, 4 Monate 5 Teilnehmer · 5 Beiträge
  • Mondin

    Teilnehmer
    18. Dezember 2019 um 10:31

    Weihnachten 1984

    Am ersten Weihnachtfest in Saudi-Arabien bin ich zusammen mit zwei anderen Single Females eingeladen bei einer befreundeten Familie. Es ist eines der Paare, die uns gern mitnehmen zum Strand, denn wir Frauen dürfen nicht Auto fahren und sind darauf angewiesen, mitgenommen zu werden. Manche machen das nicht gern, mit anderen fährt man weniger gern. So sind es fast immer die gleichen, die mich mitnehmen zum Strand – und die uns Weihnachten zu sich einladen.

    Es gibt einen selbstgebastelten, geschmückten Weihnachtsbaum, Plätzchen und ein Festessen. Wir überreichen Geschenke. Die Kinder haben von den Eltern schon vor unserem Eintreffen Bescherung gehabt und sind mit ihrem Spielzeug beschäftigt, wie überall, wo es Geschenke gab.

    Als die Kinder ins Bett müssen, machen wir uns zu dritt auf zu unseren indischen und philippinischen Kolleginnen im Gebäude der Single Females. Die Philipinas und Inderinnen wohnen auf verschiedenen Etagen und haben je einen eigenen Raum für Zusammenkünfte. Obwohl beide Gruppen Christen sind, feiern sie getrennt.
    Zuerst gehen wir zu den Inderinnen. Dort geht es sehr festlich zu. Alle sind mit ihren besten Saris gekleidet, geschminkt und geschmückt. Über dem ganzen Raum liegt ein leicht betrübter Schleier. Die Gesichter sind ernst und aus dem Plattenspieler kommt indische Musik. Es sind Krankenschwestern und meine Kolleginnen vom Labor.

    Von den Inderinnen ziehen wir weiter zu den Philippinas. Dort geht es hoch her! Die Trauer über das In-der-Fremde-sein statt in der eigenen Familie mit Eltern und Kindern, Geschwistern und Schwägern wird überspielt. Es gibt Musik und es wird getanzt. Sie haben alle eingeladen, die sie nicht allein wissen wollen: die wenigen Putzfrauen aus Sri Lanka und eine alleinstehende syrische Frau mit ihrer kleinen Tochter. Deshalb gibt es auch arabische Musik und Bauchtanz – nicht in Glitzerkostümen sondern mit einem Tuch über den Jeans um die Hüften geschlungen. Selbst die Kleine tanzt besser als wir. Die Frauen aus Sri Lanka fallen auf durch ihre Zurückhaltung und ihre festlichen Saris.

    Eigentlich wollten wir bei den Philippinas nur vorbei schauen, so wie bei den Inderinnen, zum Teil aus Neugier und ein bisschen aus Höflichkeit, weil sie uns eingeladen haben. Aber wir bleiben hängen auch die ganze lange Zeremonie des Geschenke-Verteilens hindurch.
    Sie haben gewichtelt und wer sein Geschenk erhalten hat, packt aus, bedankt sich und geht dann seinerseits mit seinem Geschenk in der Mitte herum, wobei immer das gleiche Lied gesungen wird (die Melodie habe ich jetzt noch im Kopf). Erst bei den letzten Takten gehen sie auf die zu Beschenkende zu, sodass es möglichst lange spannend bleibt.

    Als das Fest zu Ende ist, sind auch wir müde genug, ins Bett zu gehen. Am 24.12. hatte kein Christ Nachtdienst, doch am 25. morgens ist ganz normaler Dienst. Es gibt nicht genug nichtchristliche Krankenschwestern und MTAs, dass es reicht, die Feiertage zu überbrücken.

    Randnotizen
    Wir Deutschen wohnen alle in einem Gebäude: Männlein, Weiblein und Familien – alle durcheinander. Wir haben jederzeit Ausgang, unsere Türen sind offen für alle.

    Philippinas und Inderinnen wohnen in dem Haus für Single Females. Dessen Eingang wird von einer Ägypterin bewacht, der sie bei jedem Ein- und Ausgang Rechenschaft ablegen müssen – auch, wenn sie zur Nachtschicht ins Hospital herüber gehen oder in die Waschküche, die sich bei uns im Haus befindet.
    Den Ausflug in die Waschküche nutzen unsere Kolleginnen manchmal, um bei uns vorbei zu schauen. Wenn wir sie einladen, müssen sie einen Antrag stellen und wir müssen bestätigen, dass kein Mann an dem Treffen teilnimmt. Kontrolliert worden ist das zu meiner Zeit nie, aber die Möglichkeit schien immer gegeben. Der Saudische Staat fühlte sich offensichtlich verpflichtet, die Tugend der meist verheirateten Frauen zu beschützen. Dennoch geschah es immer wieder, dass zarte Bande unter den schwierigsten und abenteuerlichsten Gegebenheiten geknüpft wurden.

    Christen und Juden werden als weniger ungläubig angesehen und werden deshalb bevorzugt eingestellt, wo man keine Muslimas bekommen kann. Auch sie glauben an nur einen Gott und haben ein Heiliges Buch. Unter islamischen Herrschern sind sie Schutzbefohlene, haben weniger Rechte und müssen Sonderabgaben leisten, ähnlich wie im Mittelalter bei uns die Juden. Wenn die muslimischen Herrscher fest im Sattel sitzen, geht es Christen und Juden fast immer gut. Ich denke auch, sie dienten seltener als Sündenböcke, als Juden bei uns. Fühlte der Herrscher sich unsicher, galten Christen und Juden als Bedrohung, gegen die man vorgehen muss – mit dem wunderbaren Nebeneffekt, die Aufmerksamkeit vom Herrscher abzulenken und das zieht sich durch die Geschichte bis heute.

  • Constantia

    Teilnehmer
    18. Dezember 2019 um 11:07

    Spannende Erzählung liebe Mondin, die ich heute Nachmittag noch einmal in aller Ruhe auf mich wirken lassen will.

    Schön so ein Blick über den Tellerrand hinaus.

    Constantia

  • Ricarda01

    Teilnehmer
    18. Dezember 2019 um 11:20

    Du musst ein spannendes Leben gehabt haben, liebe Mondin.
    Danke, dass du die Erinnerungen mit uns geteilt hast.
    Schöne Vorweihnachtszeit – Ricarda :-B

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