Weihnachten 1967

  • Weihnachten 1967

     SFath antwortete vor 4 Jahren, 4 Monate 2 Teilnehmer · 2 Beiträge
  • Mondin

    Teilnehmer
    24. Dezember 2019 um 11:42

    Weihnachten 1967

    Am 24.12.1967 sitze ich mit meiner Kollegin auf einem Stein im Schatten eines Baumes. Es ist Mittag und heiß. Vor uns die Elefantenterrassen.

    Vor einem Jahr hätte ich mir nicht träumen lassen, ein Weihnachtsfest in den Tropen zu erleben. Ich arbeitete seit vier Jahren dort, wo ich aufgewachsen war, wo ich meine Ausbildung gemacht hatte, an dem Krankenhaus, das ich schon von meinen Praktika her kannte. Alle meine Mitstudentinnen hatten die Stadt längst verlassen. Zuletzt auch meine beste Freundin. Eine Krankheit meiner Mutter und eine Liebe hatten mich zurück gehalten. Beides war nun vorbei und ich streckte meine Fühler aus nach einer neuen Arbeitsstelle und neuer Unabhängigkeit. Ich wollte mehr, als von einem städtischen Krankenhaus zu einem anderen städtischen Krankenhaus wechseln. So zog die Anzeige „Zwei MTAs für Thailand gesucht“ sofort meine Aufmerksamkeit auf sich. Ich hatte nur zwei Fragen: Wird der Flug dorthin bezahlt? Kann ich von dem Geld leben, das ich verdienen werde? Beides wurde mir versichert und so zögerte ich nicht, mich zu bewerben. Wenn ich mich recht erinnere, musste ich im Atlas nachsehen, wo Bangkok überhaupt liegt!

    Die 120 Antworten auf meine eigene Anzeige missachtete ich. Meine Mutter lobte dieses oder jenes Angebot und wunderte sich, dass ich so wenig Interesse zeigte.
    Bei dem Vorstellungsgespräch in Bonn, bekam ich gleich zu hören, dass man mich trotz meiner Jugend nehmen wollte, da ich die einzige sei, die so viel Erfahrung hatte auf dem gewünschten Fachgebiet. Jubilierend fuhr ich nach Hause und erzählte es begeistert meinen Eltern. „Kind, mach das!“ bekam ich zu hören und „eine solche Chance bekommst Du nie wieder!“ Später erfuhr ich von anderen Frauen, dass ihre Eltern sie nie hätten fahren lassen, obwohl sie volljährig waren.

    So kam es, dass ich an Weihnachten 1967 in Angkor unter einem Baum bei den Elefantenterrassen saß. Am Vormittag waren wir mit einer Fahrradrikscha von unserem Hotel in Siem Reap abgeholt worden, hatten nur einen Blick auf Angkor Vat gehabt und Angkor Thom besucht. Nun ruhten wir aus, tranken und aßen etwas und dösten ein bisschen in der Sonne. Dass ich in einem Traum gelandet war, wusste ich seit ich in Bangkok aus dem Flugzeug stieg. Meine ältere Kollegin mit Auslandserfahrung machte diesen Traum perfekt. Sie war es, die diese Reise nach Kambodscha vorgeschlagen und die Organisation in die Hand genommen hatte.

    Flötenmusik aus dieser fremden Welt dringt an unser Ohr. Ein kleiner Junge steht vor uns und spielt. Er hatte eine ganze Tasche voller Bambusflöten zum Verkauf. Ich erstehe eine davon ohne viel zu handeln und lehre ihn die ersten Töne eines weltbekannten Weihnachtsliedes. Das Lied von der stillen, heiligen Nacht passt seltsam gut in die Stille der heißesten Zeit des Tages. Ich erklärte ihm, dass er mit diesem Lied ganz sicher viele Flöten bei den europäischen Touristen verkaufen kann.

    Zum Sonnenuntergang steigen wir auf die oberste Etage der Mittelstupa von Angkor Vat und bleiben dort bis uns die zunehmende Dunkelheit gebietet, herunter zu steigen. Bei unserem Rikschafahrer steht der Junge und strahlt uns an. Er hat alle Flöten verkauft!

    Als wir zurück durch den Dschungel fahren, ist es Nacht und das allabendliche Konzert der Grillen, füllt die Luft und unsere Ohren. Still, ist eine Tropennacht selten.

    Ich wünsche allen ein frohes Fest

    Mondin

  • SFath

    Teilnehmer
    24. Dezember 2019 um 14:42

    Danke für deine Geschichte!
    Du hast ein großes Erzähltalent, bei dem Bilder vor Augen entstehen! 🙂

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