Schwarzer Markt (3): Verloren

  • Schwarzer Markt (3): Verloren

     Unbekannt antwortete vor 4 Jahren, 6 Monate 3 Teilnehmer · 3 Beiträge
  • Unbekannt

    Teilnehmer
    29. August 2019 um 2:41

    Eines Tages überzeugte ich die Großeltern, die noch immer keine Kartoffeln hatten, aber großen Hunger litten, dass es für mich kein Problem sei, die Zigaretten zu verkaufen. Sie überließen mir die Schachtel "Sorte Eins" und Großmutter, der es offenbar sehr bange dabei war, fügte hinzu "Junge, pass ja auf!"

    Tags darauf konnte ich das Schulaus kaum erwarten. Eilenden Schrittes ging ich zum Bahnhof und wagte mich in das dickste Menschengewühl des Marktes. Mit Sicherheit plagte mich damals Herzklopfen, aber schließlich galt es zu signalisieren, dass ich dazu gehöre und eine begehrte Ware zu verkaufen habe. Doch, als so einfach wie gedacht, stellte sich das nicht heraus. Wie kamen die Leute eigentlich in Kontakt zueinander? Standen zwei Männer gerade beieinander und ich versuchte mich dazu zu gesellen, wandte man sich ab. Als Partner akzeptierte oder erkannte man mich demnach nicht. Dabei war ich sicher, dass Interessenten für Zigaretten hier zu finden sein müssen. Irgend einen Mann anzusprechen, traute ich mich nicht. Womöglich war gerade der ein Spitzel.

    Dann geschah das, was ich mein Lebtag nicht vergessen werde. Ein spindeldünner Mann in wadenlangem schmutzigen Militärmantel, mich um eine halbe Kopfgröße überragend, mit hochrotem, pockennarbigem, hässlichem Gesicht sprach mich an und fragte, was ich zu bieten habe. Meint ihr, ich wäre bei diesem Anblick imstande gewesen davon zu laufen? Der Grauselige drängte mich. Schließlich nannte ich ihm Ware und Preis. Er nickte, ging ein paar Schritte zurück und ließ sich von einem anderen Mann etwas geben. Dann hielt er mir seine offene linke Hand zum Empfang der Zigaretten hin und die rechte Faust, in der er wohl das Geld verbarg. Die Transaktion fand statt. Er nahm sich rasch die Schachtel und ich hielt einen zerknitterten braunen Zweimarkschein in der Hand. Das forderte mein Aufbegehren heraus, das der Pockennarbige jedoch mit den Worten "Sei ruhig, sonst bist du dran!" drohend erstickte.

    Es wäre müßig, darüber zu spekulieren, ob der Täuscher ein Spitzel war, der die Situation zu seinem Vorteil nutzte. Er war es wohl eher nicht. Die Zeit gebar solche Typen zuhauf.

    Zuhause gestand ich der Großmutter wehklagend mein Missgeschick. Und ihre Reaktion? "Hauptsache, dass dir nichts geschehen ist" sagte sie leise. Dabei war ihr doch eben eine Hoffnung zerstört worden. Der Korb voller Kartoffeln war nun in unerreichbare Ferne gerückt. Und das tut mir heute noch leid.

  • Novis

    Organisator
    31. August 2019 um 15:20

    Ich habe mit Interesse Deinen Bericht über die Nachkriegszeit gelesen und versucht, Parallelen zu meiner Kindheit in der unmittelbaren Nachkriegszeit zu entdecken.

    Wir waren Anfang 1945 (Mutter und drei Kinder) über die Ostsee in SH und dann mit der Eisenbahn im nördlichen Harzvorland in einem Dorf und dort bei einer Bauernfamilie untergekommen. Später stießen dann noch Großmutter und drei Tanten dazu.

    Unsere Habseligkeiten bestanden aus dem, was wir auf dem Leibe trugen und was in Rucksäcken für uns Kinder und einem Rucksack und einem Koffer für Mutti hineingepasst hatte.
    Sehr rasch lernten wir kennen, was Hunger ist. Da nützte es auch nicht, dass wir auf einem bäuerlichen Anwesen untergekommen waren. Es gab Lebensmittelkarten mit denen man – wenn man Glück hatte – auch das Eine oder Andere bekam. Aber nie genug, um unsere hungrigen Mäuler zu stopfen.

    Einen Schwarzen Markt gab es auf dem Dorf nicht.
    Mutter hatte auch nichts, was sie auf dem Schwarzren Markt hätte verhökern können.

    Wir lebten in Trizonesien, also im Westen. Carepakete aus Amerika gab es, aber leider nie für unsere Familie.
    Wir hatten nichts. Wir hungerten und schlugen uns irgendwie durchs Leben.

    Schule gab es auch. Jedenfalls für mich und meine Geschwister. Ich wurde im April 1946 eingeschult und hatte auch regelmäßigen Unterricht.

    Irgendwann gab es sogar so genannte Schulspeisung. In der großen Pause gab es eine Schöpfkelle heiße Suppe in ein Kochgeschirr oder einen entsprechenden Behälter, den wir Kinder mit in die Schule bringen mussten.

    Die größte Not hatte am 21. Juni 1948 ein Ende.
    Es war ein strahlender Sommertag, als Mutter zur Sparkasse ging und dort ein Kopfgeld des neuen Geldes , der Deutschen Mark, abholte.
    Plötzlich gab es alles in Geschäften zu kaufen. Es war alles da, nur reichte jetzt das Geld nicht.

    Einen Schwarzen Markt gab es meines Wissens nach der Währungsreform in Trizonesien nicht mehr.

    Ich kann mich noch sehr gut an einige Preise erinnern. Beim Bäcker konnte man Brot und Brötchen ohne Lebensmittelkarte kaufen. Ein Brötchen kostete 4½ Pfennig. Wenn man eins kaufte musste man 5 Pfennig, bei zwei Brötchen 9 Pfennig bezahlen.

    Einen guten Kilometer von unserem Dorf entfernt verlief die Zonengrenze zur russischen Zone. Dorthin gab es schon damals keinen Kontakt, jedenfalls nicht für uns Kinder. Ob und wie Menschen und Nahrungsmittel hin- und hergeschmuggelt wurden, weiß ich nicht.
    Irgendwann gab es auch in der russischen Zone neues Geld, die Ostmark. So hieß sie bei uns. Ich kann mich nur sehr verschwommen daran erinnern, aber ich weiß, dass eine Ostmark bei uns ungefähr eine Viertel D-Mark wert war. Ich habe aber niemals Ostgeld zu sehen bekommen.

    Novis

  • Unbekannt

    Teilnehmer
    3. September 2019 um 13:12

    Hallo Novis,
    herzlichen Dank für Dein feedback und die Nachzeichnung Deiner eigenen Kindheit in der unmittelbaren Zeit nach Kriegsende. Erschütternd der Bericht, wie Deine Mutter mit drei Kindern völlig mittellos in SH und dann im Harzer Vorland nach einer neuen Existenz suchte. Da hatte ich es weniger schwer, da mir die Heimat nicht genommen wurde.
    Vielleicht bieten andere Details aus unserer Jugendzeit gelegentlich weiteren Dokumentationsstoff.
    Staps

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