Schwarzer Markt (2): Reiz des Geheimen

  • Schwarzer Markt (2): Reiz des Geheimen

     Unbekannt antwortete vor 4 Jahren, 7 Monate 1 Teilnehmer · 1 Senden
  • Unbekannt

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    28. August 2019 um 22:44

    Wurden ursprünglich nur Lebensmittel rationiert, so mussten sich nach Kriegsende auch Raucher erfassen lasen, um einen Bezugsschein für Tabakwaren zu erlangen. Da das Bestehen eines solchen Lasters nicht wirklich kontrollierbar war, haben sich viele Abstinente als Raucher registrieren lassen, denn die Zigarette war besonders in der Nachkriegszeit eine Art Ersatzwährung. War man in Besitz dieses Schatzes, konnte man gegen die "Glimmstängel" fast alles eintauschen. Auch Großvater hatte eine "Raucherkarte". Tatsächlich sah ich ihn nur selten diesem Laster frönen. Aber in der Zeit noch vor Kriegsende, wenn er im Garten ein großes Stück Arbeit geschafft hatte, schickte er mich manchmal zu Ludwigs Frieda, dem kleinen Krämerladen gegenüber, und beauftragte mich, ihm eine Zigarre zu holen, aber eine gute für 23 Pfennige!

    Mit Zigaretten war Hunger jedoch nicht zu stillen. Oft konnte man einen Artikel auch nicht unmittelbar gegen einen anderen tauschen. Dann ging das über den Umweg Geld, das aber defacto nahezu wertlos war. Die Preise für begehrte Waren unterlagen einer inflationären Entwicklung. Zigaretten erzielten 1950 pro Stück (!) bis zu fünf, ein kleiner Laib Brot 30 Mark.

    Die Großeltern hatten eine Zehnerpackung "Sorte Eins". Dafür wollte aber der Bauer im Vorwerk, Nichtraucher, seinen Korb Kartoffeln nicht hergeben und nannte schließlich seinen Preis: 50 Mark. Das war nicht etwa Wucher, sondern Regelpreis, denn der Zentner Erdäpfel wurde zu dieser Zeit mit 300 Mark gehandelt, mehr, als ein Arbeiter in vier Wochen verdiente. Großvaters Erspartes war nach dem Kriege "eingefroren" worden und so mussten die Großeltern von einer wenig üppigen Pension ihr Leben bestreiten.. Kurz: 50 Mark für den Korb Kartoffeln konnten sie einfach nicht aufbringen.

    Diese Kalamität war mir natürlich nicht verborgen geblieben. Ich hatte im Herbst 1950 in Chemnitz mein Studium aufgenommen und entdeckt, dass der Schwarze Markt weit intensiver betrieben wurde, als ich ihn schon Ende 1945 kennen gelernt hatte. Und es schien mir wirklich ganz einfach zu sein, die Zigaretten dort zu verkaufen und damit das Problem der Großeltern zu lösen. Doch stieß mein Angebot zunächst auf entschiedenen Widerstand. Zu groß erschienen vor allem der Großmutter die Gefahren, denen ich mich dabei auszusetzen habe. Für mich war der fast tägliche Gang durch die Menschenansammlung auf dem Schwarzen Markt mit all seinen Heimlichkeiten ein prickelndes Erlebnis. Beinahe ein Karl-May-Abenteuer. Nicht so exotisch, aber dafür ganz unmittelbar! Schließlich lauerte im Hintergrund auch die Gefahr einer plötzlichen Razzia. Gellte der Schrei "Polizei!" über den Platz, stoben die Menschen auseinander. Rette sich wer kann! Die armen Schweine, die man erwischte, waren Geld und Ware los. Vielleicht sogar die letzte Hoffnung, etwas Lebensnotwendiges ergattern zu können.

    Noch fühlte ich mich nur als Zuschauer mit perfektem Alibi, nämlich meiner Schultasche und der Monatsfahrkarte. Der Weg zum Bahnsteig führte eben über den Bahnhofsvorplatz. Und wenn ich dann doch vielleicht die Zigaretten dabei hätte? Ach was! Mir wird bestimmt nichts passieren. Ich werde schon aufpassen. Es wäre doch toll, wenn ich bei dem Geschehen mal real mitmischen könnte.

    (Fortsetzung und Schluss im Teil 3)

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