Aromakiller Kühlschrank

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    Organisator
    29. April 2023 um 17:39

    Soll Obst und Gemüse lange halten und dabei auch noch schmecken? Dann sind
    niedrige Temperaturen nicht immer richtig / Die Tomate sollte nicht in den
    Kühlschrank, der Apfel hingegen schon. Viele Menschen machen das andersherum.
    Oder sie stopfen alles in die Kühlung – einfach, weil es bequemer ist.

    Vor der Erfindung des Kühlschranks mussten sich die Menschen noch richtig Gedanken machen, wo sie ihre Lebensmittel aufbewahren: Kartoffeln, Karotten und Wurzelgemüse lagerten sie meist in Holzkisten im Keller. In denen waren die Früchte in Erde vergraben und vor Licht und Kälte geschützt. Andere Obst- und Gemüsesorten fanden Platz in unbeheizten, dunklen Vorratskammern. Außerdem wurden Überschüsse eingekocht, eingelegt oder getrocknet. Heute hingegen stopfen viele Verbraucher fast alles einfach in den Kühlschrank, einfachweil es bequem ist. Doch das ist ein Fehler, den man spätestens beim Essen bemerken sollte: Längst nicht allen Früchten tut ein Aufenthalt in der Kälte gut.

    Tomaten

    Eine Tomate, direkt vom Feld geerntet, noch warm von der Sonne, schmeckt um Welten besser als jedes Nachtschattengewächs, das man im Kühlschrank gelagert hat. „Das liegt daran, dass Kühlschranktemperaturen die Aktivität vieler Enzyme verlangsamen, wie auch Oxidationsprozesse, die für die Bildung der Aromastoffe in den Früchten verantwortlich sind“, erklärt Thomas Vilgis, Physiker am Max-Planck- Institut für Polymerforschung in Mainz. Deshalb finden sich in wärmer gelagerten Tomaten mehr zitrusartige, grasartige, aber auch moschusartige Substanzen als in kalten Früchten. Forscher um die Biochemikerin Catherine Renard von der Universität Avignon wollten es genau wissen und lagerten in einem Experiment Tomaten für jeweils sechs oder 30 Tage bei vier Grad Celsius. Das Ergebnis: Wichtige Aromastoffe aus den fruchteigenen Carotinoiden und Aminosäuren bilden sich nur dann in respektablen Mengen, wenn die Tomaten bei Zimmertemperatur aufbewahrt werden.

    Nach 30 Tagen befanden sich in den Kühlfrüchten 66 Prozent weniger Aromastoffe. Legten die Forscher die Tomaten nach der sechstägigen Kühlkur wieder für einen Tag ins Warme, regenerierte sich zumindest ein Teil des Geschmacks. Die Tomatenwerden in der Kälte außerdem mehlig, reifen ungleichmäßig und entwickeln eine gummiartige Textur. Nur einen Vorteil bietet der Kühlschrank: Da in der Kälte Enzyme wie die Polygalacturonase langsamer arbeiten, werden die Früchte nicht so schnell weich.

    Unter dem Strich empfiehlt sich dennoch die Lagerung bei mäßigen Zimmertemperaturen. Dies gilt insbesondere für noch leicht grüne Tomaten. Nur so haben sie eine Chance, das ganze Aromenspektrum und insbesondere den sogenannten Umami-Geschmack zu entwickeln. Dieser ist nach Ansicht von Wissenschaftlern ein wichtiger Grund für die Beliebtheit der Tomaten. Bananen und tropische Früchte Bananen werden im Kühlen schneller braun. Chilling-Injury nennen Experten dieses Phänomen. Von ihm sind viele tropische Früchte betroffen, unter anderem auch Ananas, Zitrusfrüchte, Papaya und Mango. Dabei bilden sich ganz von alleine Oberflächenverletzungen, die Frucht wird wässrig, reift nicht nach und verfärbt sich. „Oft sieht man das von außen nicht, wenn man die Frucht dann aber anschneidet, ist sie womöglich innen schwarz“, erklärt Reinhold Carle, Lebensmitteltechnologe an der Universität Hohenheim. Betroffene Früchte sind außerdem anfälliger für manche Pflanzenpathogene wie den Schimmelpilz Alternaria.

    Der Mechanismus hinter dem Chilling- Injury: „Fettartige Substanzen in den Zellmembranen verändern ihre Konsistenz je nach Temperatur, die an Wärme gewohnten Zellwände werden im Kalten starr und porös“, sagt Vilgis. „So werden Enzyme frei, etwa die chloroplastische Polyphenoloxidase, die die Schale braun färben.“ Gegen Chilling-Injury resistente Obstarten hingegen haben mehr ungesättigte Fettsäuren in ihren Zellmembranen eingelagert. Deshalb reagieren sie nicht so stark auf Temperaturveränderungen. Das ist eine Folge der Anpassung an das gemäßigte Klima ihrer Herkunftsländer.

    Äpfel & Birnen

    Äpfel gehören in den Kühlschrank. Das Kühlen verändert bei diesen Früchten das Aroma nicht so stark, dafür verderben sie deutlich langsamer. „Bei Äpfeln wird die enzymatische Bräunung durch Kälte blockiert, genauer das Enzym Phenoloxidase“, sagt Vilgis.Nach Studien der kalifornischen Universität Davis kann man Äpfel nur siebenTage bei Zimmertemperatur lagern, während im Kühlschrank drei bis sechsMonate drin sind. Äpfel bilden übrigens in großen Mengen dasGas Ethylen, das die Reifung anderer Arten beschleunigt. Ethylen ist ein Pflanzenhormon und setzt in den Früchten eine Signalkette in Gang. In der Folge werden feste Zellwandbestandteile wie die Pektineweicher,die Pigmentierung verändert sich und es bildet sich Zucker. Dieser Effekt lässt sich nutzen:

    Wenn man unreife Früchte wie grüne Bananen, Nektarinen oder Tomaten bei Zimmertemperatur mit einem Apfel in eine Papiertüte steckt, dann reifen sie schneller nach. Anders sieht es mit Birnen aus: „Was man heute kaufen kann, sind schöne Leichen, aber sie haben kein Aroma mehr“, sagt Carle. Das liegt daran, dass sie nach früher Ernte oft bis zu neun Monate bei einem Grad Celsius in den Kühlräumen des Fruchthandels lagern.„ Auch ein Nachreifen in Zimmertemperatur hilft hier nicht“, meint er.

    Pfirsiche und Nektarinen

    Die Südfrüchte sollten bei Zimmertemperatur ausreifen. Denn vor allem unreife Pfirsiche leiden bei zwei bis acht Grad an Der sogenannten Wolligkeit, einer physiologischen Störung. Die Früchte werden dann trocken und mehlig. Wenn sie gut reif und damit aromatisch sind, kann man sie noch rund drei Tage im Kühlschrank aufbewahren ohne dass sie substanziell an Aroma verlieren. In einer französischen Studie haben Wissenschaftler im Supermarkt gekaufte Nektarinen 20 Tage entweder bei ein, vier oder acht Grad gelagert und dann vier Tage bei 25 Grad reifen lassen. Je länger die Kühlzeit, desto geringer waren dieser Studie zufolge die Gehalte an Laktonen und C13-Norisoprenoiden – das sind wichtige Aromastoffe der Nektarinen. Pfirsiche und Nektarinen sind auch anfällig für Chilling- Injury-Effekte.

    Allerdings sollten auch kälteempfindliche Feldfrüchte nie in der prallen Sonne liegen, ideal sind Temperaturen von 15 Grad Celsius. Zudem sollten die Früchte nicht in Abgeschlossenen Plastikverpackungen liegen. In diesen verlangsamt sich die Reifung, unangenehme Gerüche aus dem Plastik werden aufgenommen, und das Sauerstoff- Kohlendioxid-Verhältnis kann kippen – dann beschleunigt sich der Verderb.

    Erdbeeren

    Die ebenso beliebten wie sensiblen Früchte verderben bei Zimmertemperatur sehr schnell, während sie im Kühlschrank länger halten. Allerdings geht dabei auch einiges an Geschmack verloren. So nimmt unter anderem der Gehalt der sogenannten Ester ab, mengenmäßig die wichtigsten Aromakomponenten der Erdbeere, sie vermitteln Fruchtigkeit und eine Note von grünem Gras.

    Überraschenderweise reagieren verschiedene Erdbeersorten unterschiedlich stark auf Kälte. Kürzlich haben indische Forscher zwei handelsübliche Sorten neun Tage lang bei fünf Grad gelagert. Bei der Sorte Camarosa minimierten sich die Ester mit der Lagezeit. Aber bei der Sorte Chandler nahmen diese Aromen verblüffenderweise zu. Harry John Klee, Pflanzenpysiologe an der Universität Florida findet das nicht weiter verwunderlich: „Durch den Kältestress werden vor allem Enzyme frei, die Fett abbauen, wodurch bestimmte Aromen sogar erst im Kalten entstehen.“ Dennoch: Unter dem Strich verringerte sich in dem Versuch bei beiden Sorten die Geschmacksintensität im Kühlschrank. Da Camarosa-Erdbeeren aber von Anfang an mehr Aromen hatten, schmeckten diese Früchte auch nach der Lagerung immer noch besser als die Chandler-Erdbeeren. Für den Aromaverlust von kühl gelagerten Erdbeeren ist aber auch der Zuckerabbau verantwortlich, der nur bei niedrigen Temperaturen stattfindet. Dadurch schmecken die Beeren weniger süß, was die Aromaempfindung zusätzlich dämpft.

    Avocado

    Harte Avocados sollte man zum Nachreifen in Zeitungspapier wickeln. Auch sie geben Ethylen ab, sobald sie geerntet worden sind. Sie können somit ihre eigene Reifung vorantreiben. Niedrige Temperaturen hingegen reduzieren drastisch Atmungsprozesse und Ethylen- Produktion, weil die Aktivität der zuständigen Enzyme blockiert oder heruntergefahren wird. Im Kühlschrank werden Avocados also meist gar nichtweich, sondern eher gummiartig und bitter. Sind die Avocados allerdings bereits weich, dann kann man auch sie noch ein paar Tage im Kühlschrank aufbewahren. Werden sie allerdings zu kalt gelagert, wird das Fruchtfleisch grau-braun.

    Paprika

    Die Paprika gehört überraschenderweise trotz ihrer Herkunft aus warmen Regionen in den Kühlschrank. Bei ihnen wird dadurch verhindert, dass Wasser verloren geht und damit die erfrischende Textur der Schoten. Bei Zimmertemperatur würden sie bald trocknen und schrumpeln. Zudem leidet das Aroma in der Kühle nur wenig. „Die Bildung der würzig-erdigen Substanzen wird zwar durch Kälte auch etwas gedrosselt, aber nicht so stark“, sagt Vilgis. Auch findet nach der Ernte keine Nachreife mehrstatt wie bei Bananen, Avocados oder Tomaten. Man darf Paprika aber nicht zu kalt lagern, da auch sie sonst Chilling-Injury- Symptome zeigen. Sie schimmeln dann am Stiel, zeigen Dellen in der Haut oder schwarze Kerne. Sieben Grad sind ideal. In einem konventionellen Kühlschrank sind die Temperaturen je nach Höhe des Fachs übrigens unterschiedlich. So ist das Gemüsefach unten mit acht bis zehn Grad der wärmste Ort, während in den darüber liegenden Etagen meist zwischen zwei Grad und acht Grad herrschen.

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